Joris Iven

Selbstportrait

 

 

 

Ich stehe mit meinem Leib in einem Schaufenster

und er sagt:

                  “Ich habe meine Erinnerungen verloren.”

 

 

Sie haben mein Hirn aus meinem Haupt geholt –

        einfach lang eine Ohr.

Ich hör

          jetzt besser als vorher,

     aber ich merke mir nichts.

Ich brauche nichts merken.

Ich muss nur im Schaufenster stehen.

 

 

Sehr fremde Passanten ziehen an mir vorbei.

Jeder ist mir fremd – meine Kinder,

                                deren Mutter,

                                meine Mutter.

 

 

Gestern,

            oder der Tag früher,

                                          dachte ich

            dass ich keine Kinder habe,

            dass sie keine Mutter hatten,

                                                       und ich ebenso.

 

 

An das was der Besuch den Tod nennt

habe ich eine vage Erinnerung.

     

 

Nach dem Erwachen aus dem tiefsten Schlaf

stehe ich als sprechende Puppe

                                               in einem Schaufenster

und die ersten Worte von mir

sind Körper,

                  Kontakt,

                              Blaulichter,

in dieser Reihefolge,

                              mit nichts verbunden,

                                                              ohne eine Bedeutung.

 

 

Ich stehe in einem Schaufenster

das bekannte Resultat

                     eines totgeschwiegenen Experimentes.

Ich werde unter das Messer gelegt,

                         mit meinem Knie in Siena,

                         mit meiner Hüfte in Houston,

                         mit meinem Arm in Amsterdam.

 

 

Über mein Hirn

                      hat man sich den Kopf zerbrochen –

ich habe vergessen in welcher Stadt

                                                     das stattfand.

 

 

Durchaus,

              hinter geraden Narben

              werden missglückte Operationen verborgen.

 

 

Wo

     Narben gekerbt angebracht werden

     verläuft die Heilung sacht.

     

 

An das was der Besuch den Tod nennt

habe ich eine vage Erinnerung.

 

 

Ich stehe im Schaufenster mit meinem Haupt

Das ab jetzt umgetauft ist in Gemüsegarten.

Auf meinem Kopf

                          wachsen Erdbeeren, dann Tomaten

                          und immer auch lange Stangen Poree.

Ich kann da nicht mehr hin.

 

 

Ich friemel an den Fäden

                                     in meinem Kopf

und ziehe da einen,

                             zwei,

                                     los,

                                         aus,

                                              vorbei.

 

 

Meine Arme werden an die Bettstangen gebunden,

meine Füsse fest zusammen

mein Korpus am Gestell.

 

 

Ich kann meiner Strafe nicht

                                            entgehen.

 

 

An das was der Besuch den Tod nennt

habe ich eine vage Erinnerung.

 

 

Ich stehe im Schaufenster

als Fleisch gewordener Schatten

                                                von mir selbst

der sich auf zerbrechlichen Beinen

                                                    sehr schwer in Stand halt

und sich in seinem Innern fortwährend durchspült

                                                                          mit Blut.

 

 

Die Schritte voran kommen

                                         vielleicht

                                                       später

                                                                noch

                                                                        mal.

 

 

Wer ist einmal im Stande

                                     wobei denn auch

die turmhohen Worte

                                jetzt oder nie

                                                     auszusprechen?

 

 

 

An das was der Besuch den Tod nennt

habe ich eine vage Erinnerung.

 

 

Ich stehe in einem Schaufenster

als Schwimmer

                      in Badehose

und werde an einem Stuhl

                                       in das Wasser gelassen.

 

 

Ich kann nicht schwimmen,

                                        aber muss stehen

                                                                  und gehen.

 

 

Mit trägem Getrappel

                                nehme ich die Meter,

                                                                bestätige ich mein Bestehen.

Ich komme dahin.

 

 

Nach dem Üben mit Partnern

stehe ich als Fahnenträger

                                      in einem Schaufenster,

telefoniere mit dem Handy

                                       mit der Fernbedienung

                                                                        am Fernseher

und rufe Putzfrauen,

                              Betreuer

                                          und Krankenschwestern.

Jeder steht zu meiner Verfügung.

 

 

An das was der Besuch den Tod nennt

habe ich eine vage Erinnerung.

 

 

Ich stehe mit meinem Körper in einem Schaufenster

und bin umringt

                       durch Gliedmassen

                                                   aus Gips,

                       durch Stühle

                                          die rollen,

                       durch leere Häupter

                                                    die zerbersten in ihrer Nutzlosigkeit.

Ich verliere mich nicht.

 

 

* * *

 

 

Ich werd durch Umstände –

                             absolut und abwechelnd,

                             der Zustand leidlich,

                             das Heute hier und jetzt –

              gegen besseres Wissen

              und nicht aus freiem Willen

transformiert zu dem schlimmen Schizophrenen

         der ich jetzt wohl bin.

 

 

Immer wieder wenn ich mich an meine neue Form gewöhne –

                              mit Haken und mit Augen,

                              mit Schrauben und mit Platten

                              wieder ineinandergebaut.

Immer wieder wenn ich mehr oder weniger aktzeptiere

dass ich so sein soll wie ich bin

entdecke ich wieder

etwas Anderes.

Ich funktioniere nicht mehr,

so wie ich dachte

dass ich funktionieren sollte,

als ob es das wäre was ich wollte,

               als wäre das meine Wahl.  

 

 

Ich werde probieren aufzugeben

nur zu sein

                wie ich war.

 

 

Ich schaue voller Zweifel um mich und finde

vielleicht etwas

in meinem Schatten

wovon ich denke:

                          das kommt mir noch gerade recht.

 

 

Ich wachse überwiegend willenlos mit

               mit dem der ich werden soll.

 

 

 

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